Diagnose Schlaganfall: Zurück in die Selbstständigkeit

Die Waldklinik Jesteburg hat sich auf das gesamte Spektrum der Genesung für Stroke-Patienten spezialisiert.

Ein Artikel des Hamburger Abendblatts vom 06.08.2024.

Benjamin Koch sitzt in der Sonne auf seinem Lieblingsplatz, einem grünen Holzstuhl im Garten der Jesteburger Waldklinik, und lächelt zufrieden. Seine Tage haben endlich wieder eine klare Struktur. Und er selbst ist der Taktgeber. Stück für Stück hat er sich sein Gefühl für Zeit und Raum und die Kontrolle über seine Sprache und seinen Körper zurückerobert. Koch ist ein Überlebender. Und ein Kämpfer. 

Ende April erlitt Benjamin Koch einen Schlaganfall. Die ersten Tage danach – nur Erinnerungsfetzen im grauen Nebel. Jetzt aber ist der 39-Jährige aus Glinde in Schleswig-Holstein wieder voll da, freut sich auf seine Rückkehr nach Hause, zu seiner Frau und seinem anderthalbjährigen Sohn Fiete. „Ich hoffe, dass ich noch mal durchstarten kann“, sagt er.

Benjamin Koch ist eine von vielen Erfolgsgeschichten, die deutlich machen, wie wertvoll die Therapie in der Waldklinik für Schlaganfallpatienten sein kann. Als Benjamin Koch nach Jesteburg kam, konnte er weder richtig sprechen noch seinen rechten Arm oder sein rechtes Bein bewegen. Er, der noch nie zuvor ernsthaft krank gewesen war, hatte sich eines Tages nach dem Aufwachen wie betrunken gefühlt. Was er noch weiß: Er sei durch die Wohnung getaumelt und habe auf die Fragen seiner Frau nur noch undeutlich nuschelnd antworten können. Seine Frau tat das einzig Richtige: Sie rief den Rettungsdienst, der den großen, schweren Mann in die nächstgelegene Stroke Unit, eine Spezialabteilung für Schlaganfallpatienten, brachte. Wenig später wurde Koch zur Weiterbehandlung nach Jesteburg geschickt: „Ich sah viel Wald und ein Haus wie in einem Tiergarten“, beschreibt er seinen ersten Eindruck. In der Tat sieht der Eingangsbereich der Waldklinik eher wie die Rezeption eines Urlaubshotels aus. Er stammt noch aus einer Zeit, in der der „Rüsselkäfer“, wie er von Einheimischen genannt wird, ein Gasthaus war. Später, nach dem Zweiten Weltkrieg, wurde eine Lungenheilstätte daraus. Ab Mitte der 1980er-Jahre baute die Familie Aldag die Heilstätte zu einem Neurologischen Fachkrankenhaus und Zentrum für Rehabilitation mit 235 Betten und 30 ganztägig ambulanten Rehabilitationsplätzen um, das heute von den Geschäftsführern Dr. Hans-Heinrich Aldag und Sohn Nils Aldag geleitet wird. Der neugebaute Krankenhaustrakt der Waldklinik beherbergt 75 Betten auf drei Stationen. Dort betreuen neurologische Fachärzte im Team mit einer Neuropsychologin, mit Ergotherapeuten, Sprachtherapeuten, über 50 Physiotherapeuten und neurologisch qualifiziertem Pflegepersonal schwerstkranke Patienten aus ganz Norddeutschland. Alle Patienten des Fachkrankenhauses der Waldklinik kommen direkt aus Akutkliniken, oft sogar von der dortigen Intensivstation. Einige von ihnen müssen noch beatmet werden, andere liegen im Wachkoma – und alle sind 24 Stunden täglich auf Hilfe angewiesen. Die drei Krankenhausstationen A, B1 und B2 bauen aufeinander auf. Die Patienten durchlaufen sie nacheinander und absolvieren bei Bedarf noch die weiterführenden Rehastationen C und D.

In der Reha liegt der Fokus auf Eigenständigkeit des Patienten
Damit bietet die Waldklinik Jesteburg das gesamte Spektrum der neurologischen Früh- und Rehabilitationsphasen aus einer Hand an – zum Vorteil für Patienten wie Benjamin Koch. Den hatte es zwar heftig erwischt. Doch er war bei Bewusstsein und konnte selbstständig atmen. Deshalb kam er gleich auf Station B 2. Der Übergang zum Rehabereich ist fließend. In der Reha liegt der Fokus zunehmend darauf, die Eigeninitiative des Patienten anzuregen.


Zweimal in der Woche treffen sich Therapeuten, Pfleger und Ärzte, um zu besprechen, wie der Patient entsprechend seiner persönlichen Wünsche und Vorlieben optimal gefördert werden kann. Die infolge eines Schlaganfalls zugrunde gegangenen Gehirnzellen können auch die Jesteburger Spezialisten nicht retten. Aber sie können die Neuroplastizität des Gehirns anregen, die Fähigkeit von Synapsen und ganzen Hirnbereichen, sich anzupassen und die Funktion anderer, zerstörter Areale zu übernehmen, so Dr. Isabel Stoczek, Leitende Oberärztin der Neurologischen Abteilung. Grundvoraussetzung dafür: üben, üben, üben. „Wenn etwas nicht mehr in der gewohnten Weise funktioniert, vermitteln wir Strategien, wie man es anders machen kann“, beschreibt Ergotherapeutin Saskia Reich.

Nach einem Schlaganfall wieder selbstständig zu werden, verlangt viel Geduld. Nicht alle schaffen das. Doch alle wollen es. „Ich bin erstaunt, wie guten Mutes viele Patienten schon nach kurzer Zeit wieder sind. Sie haben eine genaue Vorstellung von ihrer Zukunft und dem, was sie wollen“, berichtet Gudrun Wiegels, Leiterin des Pflegebereichs.

Gemeinsam mit ihren Kollegen sucht und hält sie den Kontakt zu den Angehörigen, überlegt schon frühzeitig mit ihnen gemeinsam, ob der Patient später wieder zu Hause leben kann und welche Veränderungen dafür nötig sind. Dass Schlaganfallopfer angesichts des Verlusts ihrer Fähigkeiten in Depressionen versinken, kommt vor, ist aber selten, bestätigt Neuropsychologin Fenja Volmer, die dann beispielsweise mit Gesprächen über die Krankheit helfen kann.


Durchschnittlich 40 Tage bleiben die Patienten nach einem Schlaganfall allein im Krankenhausbereich der Waldklinik. Nicht alle durchlaufen alle Krankenhaus- und Rehastationen. Leichtbetroffene Schlaganfallopfer steigen gleich auf der Rehastation C in die Behandlung ein. Und ganz Hoffnungsvolle wie Benjamin Koch absolvieren auch noch die Station D. „Solange die Patienten Fortschritte machen, übernehmen die Kostenträger auf Antrag die Weiterbehandlung“, erklären die Geschäftsführer der Waldklinik, Dr. Hans-Heinrich Aldag und Nils Aldag.


Immer wieder wird den Patienten bei der Behandlung die Sinnhaftigkeit ihres Tuns vor Augen geführt. Sie wissen, warum sie sich anstrengen, und sind deshalb motiviert. Bei Benjamin Koch kommt als Antrieb das Verantwortungsgefühl für den kleinen Fiete hinzu, „für ihn halte ich das hier durch“, bekennt der stolze Vater.

Vor kurzem durfte er sogar einen Tag nach Hause. Und stellte zu seiner Erleichterung fest, dass er dort schon jetzt ohne weiteres klarkommt. Zur Toilette gehen, Treppe steigen – alles gut. Koch will weiter an sich arbeiten, hofft, auch noch die letzten Spuren des Schlaganfalls aus seinem Leben tilgen zu können. „Ich hatte noch nie so viel Zeit wie jetzt, mich um mich selbst zu kümmern. Die Regelmäßigkeit des Tagesablaufs, die Entschleunigung haben mir gutgetan“, sagt er.

Vieles, was er in der Waldklinik gelernt hat, will er mitnehmen in sein künftiges Leben: nicht rauchen, sich viel bewegen, auf die Ernährung achten, weniger Stress an sich heranlassen. Doch bevor er die Koffer packt, wird sich Koch noch von allen verabschieden, die ihm geholfen haben, wieder gesund zu werden – Menschen, die er fast schon als gute Freunde betrachtet.
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